05.02.2021, 05:55 Uhr

wird auf der Sterbeurkunde von R. stehen. Er hat es geschafft und obwohl ich ihn am Dienstag noch 2 Stunden gesehen habe, ist es kaum zu glauben. Auf dem Bild bin ich unglaublich jung und verliebt, es zeigt viel besser als jedes Wort wieviel er mir bedeutet hat.

Wieder habe ich mit seiner Tochter gesprochen, seine Cousine wird sie in den nächsten Tagen bei den Behördenwegen unterstützen. Sie hat mir erzählt, dass sie mich als Teil der Familie betrachten, da ich ja lange Zeit mit ihm zusammen war. Auch deren Mutter habe ich im Pflegeheim öfter besucht, wenn sie im Ausland war. Es ist gigantisch wieviele kleine Erinnerungen in den letzten Tagen wieder präsent sind. Ist doch die Zeit, wo obiges Bild entstanden ist, tatsächlich ein komplett anderes Leben gewesen.

Da ich vor meinen Kindern nichts fern halte, schon gar nicht, wenn wir wochenlang aufeinander kleben, haben sie mitbekommen, dass mein Ex im Sterben lag. Raphael hat sich erstmal schlau gemacht, was mit so einem Verstorbenen passiert und welche Arten der Beerdigung es gibt. Auf meine Frage, ob das nicht zu heftig ist, meinte er, dass das doch interessant ist zu wissen. Wir haben uns die letzten Wochen lockdownmäßig nur in der nächsten Umgebung aufgehalten, aber zum Thema passend, waren wir am Mittwoch am Zentralfriedhof. Dieses Gelände ist mehr als nur sehenswert, die Kinder waren schon öfter mit dem Vater dort und wir haben 2 Stunden dort verbracht und nur einen Bruchteil gesehen. Das wahrlich schöne war aber, dass wir einen wunderbaren älteren Herren getroffen haben, der uns dann eine gute Stunde begleitet hat. Mit unzähligen Anekdoten über den Ort, prominente Verstorbene und vieles mehr. Jetzt weiß ich, dass es der zweitgrößte Friedhof in Europa ist, nur in Hamburg gibt es einen größeren. Dass aber bei weitem die meisten Verstorbenen dort liegen, mit über 3 Millionen. Dass die Fläche größer ist als der 1. Bezirk. Selbst die Kinder waren nicht gelangweilt. Es war eine wundervolle Begegnung, die noch lange nachklingen wird. Er war übrigens rüstige 86, R. wurde nur 68.

Vieles geht mir in diesen Tagen durch den Kopf, aber besonders bemerkenswert finde ich, dass R. gedanklich so klar war. Meine Freundin meint, dass Sterbende meist eher älter sind und dadurch von Haus aus verwirrter. Trotzdem ist es für mich nicht greifbar. Er weiß welcher Tag ist, fummelt an seinem Handy herum, flirtet auf seine ihm eigene Art mit den Krankenschwestern, aber seine Leber war nur noch ein einziges Krebsgeschwür, wie der Arzt heute festgestellt hat.

Und mein Leben ist trotz des abrupten Stillstandes der Arbeitslosigkeit in Verbindung mit diversen lockdowns so unglaublich turbulent, dass mein Hirn gar nicht mitkommt. Auf dem Weg zum Krankenhaus am Dienstag hat mich die Personalabteilung der Erste Bank angerufen, weil ich mich dort für das Immobilienmanagement beworben habe. Jetzt habe ich am Montag mein erstes Vorstellungsgespräch per Zoom. Aber ich habe mich dort nur beworben, weil das AMS das vorschreibt, ich bin sicher unqualifiziert, allein denen ihre freiwilligen Gehaltsvorstellungen sprengen meine Vorstellungskraft. Ich hätte im Leben nicht gedacht, dass sie mich anrufen!

Gestern hatte ich dann ein anderes Vorstellungsgespräch, ich wurde quasi empfohlen, die genauen Umstände meiner Kündigung sind bekannt. Trotzdem kann ich den Job haben, wenn der Inhaber den Zuschlag für die 30 neuen Häuser bekommt.

Aber eigentlich würde ich gern mal die Schlüssel für die neue Wohnung haben, damit wir übersiedeln können. Damit dieser Brocken einmal erledigt ist. Dann wollte ich mich liebevoll um meine Gallsteine kümmern. Wenn das erledigt ist, sollte für den Vater der Kinder eine kleine Wohnung gefunden werden, damit hier auch endlich mal klar Schiff ist. Mal sehen, wie es weiter geht, langweilig wird mir aber eher nicht. Jetzt hat sich ja auch noch ein Begräbnis rein geschummelt.

10 Kommentare zu „05.02.2021, 05:55 Uhr“

  1. Traurig, aber auch erlösend. Wunderbare Erinnerungen gepaart mit Wehmut über Verlorenes. Ein seltsamer Zwischenzustand.
    Ich finde es gut und richtig, mit den Kindern offen darüber zu reden und der Besuch des Friedhofes ist eine wunderbare Idee. Toll, wie du das machst. Der dort herrschende Frieden überträgt sich – jedenfalls bei mir – und gibt einen Eindruck des Friedens nach dem Leiden. Tröstlich. Den Wiener Zentralfriedhof habe ich auch besucht, als ich in Wien war – und den Grinzinger Friedhof.

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    1. Ich habe im Laufe der Jahre so einige Friedhöfe in Wien kennen gelernt und ich muss zugeben, dass ich die Stimmung dort immer schon mochte. Das liegt weniger an meiner morbiden Wiener Seele, sondern daran, dass ich von klein an sehr oft am Ottakringer Friedhof meine Oma besucht habe, die im Jahr meiner Geburt gestorben ist.

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  2. Ich denke schon die ganzen letzten Tage daran, dass den Kindern auf diese Weise das Thema näher gebracht werden konnte. Das finde ich gut, denn, wenn es einmal meinen Vater betrifft habe ich diesen Weitblick sicher nicht.

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  3. Eine erlösende Nachricht von dir.
    Es machte mich stets traurig und glücklich zugleich wenn jemand starb der nur noch gelitten hat. Es lässt einen Dankbar zurück, mit dem Wissen dass jetzt alles gut ist.
    Wirklich gut dass du dich durchgesetzt hattest und noch so viel Zeit bewusst mit ihm verbracht hast.
    Auch finde ich es gut und richtig es den Kindern ehrlich zu vermitteln. Die Reaktion deines Sohnes zeigt dass er völlig unbefangen mit dem Thema umgeht.
    Ich hoffe dein letzter Besuch konnte sich in dir schon ein wenig setzen.
    Alles Liebe, Nati

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    1. Ich beobachte bei meinem Sohn, dass er durch das Asperger Syndrom generell sehr nüchtern mit Themen umgeht. Trotzdem ist er ein sehr gefühlvoller und herzlicher Junge.
      Der letzte Besuch war gut und wichtig, für beide Seiten. R. hat seiner Tochter am nächsten Tag noch gesagt, wie schön es war, dass ich da war. Aber es geistert natürlich noch sehr in meinen Gedanken.
      Dir auch alles Liebe! Ich danke dir für deine Anteilnahme!

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  4. Meine eigene Erfahrung hat mich 2 Dinge gelehrt: 1. jedem, der 3 Jahre gegen Krebs ankämpft und im AKH landet, wünsche ich, loslassen zu können. Diesen körperlichen Zustand und die mentale Belastung habe ich bei meiner Mama für sie selbst als Quälerei empfunden (für mich ehrlicherweise auch) und 2. sich verabschieden zu können, ist Gold wert (auch für beide Seiten). Daher erlaube ich mir zu schreiben: schön, dass beides statt gefunden hat, auch wenn es tief traurig ist…

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    1. R. hatte von der Diagnose bis zum Ableben 6 Monate, was für ihn und seine Tochter eine Gnade war. Mein Abschied war wirklich Gold wert, bin sehr dankbar dafür. Danke für deine Worte!

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